TG Mauss

Photo-Credit: All rights reserved by Max Sand.
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Torsten G. Mauss, geboren in New York, lebt schon lange in Düsseldorf. Nicht nur Musiker, sondern auch Architekt und Designer. Zunächst zwei Alben und ein paar EP mit seinem elektronischen Bandprojekt Tonetraeger zusammen mit Volker Bertelmann (aka Hauschka). Später als Twig elektronische Musik auf Plastic Raygun (UK) und Boxer Recordings, Mitwirken bei Thomas Klein' Sølyst, verschiedene Filmmusiken. TG Mauss ist sein persönliches Solo-Projekt, eine stete Reise durch den Cosmos der Popmusik, u.a. auf Quatermass/SubRosa, Karaoke Kalk und 2021 auf Hauch Records mit der LP Momente Vol. 1 und begleitend eine rein digitale EP namens Fragmente Vol. 1 mit Material aus denselben Sessions, die sich mit der LP in einem Track überschneidet. LP und EP zeitgleich im Mai 2021.

 

Text von Georg Seeßlen zu „Momente Vol. 1“:

 

Musik ist immer nur einerseits Musik. Andrerseits ist jede Musik, ob sie es will oder nicht, auch der Soundtrack von oder zu irgendwas. Der Soundtrack von Revolution, der Soundtrack von Sommer, Sonne und Strand, der Soundtrack einer schmerzlich schönen Liebesgeschichte, der Soundtrack für die Auseinandersetzung mit Künstlicher Intelligenz, der Soundtrack der Selbstermächtigung, der Soundtrack eines Wutausbruchs usw. TG Mauss‘ neue Platte ist der Soundtrack von freundlicher Fremdheit (um einen früheren Album-Titel zu variieren), von sanfter Weirdness, von tastender Erfahrung. „Momente Vol. 1“ will Soundtrack sein, und zwar Soundtrack zu fundamentalen Empfindungen wie Hitze, Kälte, Entfernung und Näherung. Man hätte es früher vielleicht „Programmmusik“ genannt, Musik, die etwas außerhalb von sich selber „meint“; eine romantische Idee.

Ein Soundtrack zur Zeit, nicht bloß wegen der Pandemie und ihrer Folgen: Isolation und die Suche nach den Tricks, sie zu überwinden. Die Art von Musik, der man nach einiger Zeit blind vertraut, und sich von ihr einfach mitnehmen lässt. Manchmal schweifen die Gedanken dabei ab, aber dann werden sie durch das musikalische Geschehen wieder eingefangen. Und dann bemerkt man, dass mehr darin steckt als an der Oberfläche zu erkennen - wie man nur zum Beispiel an einem früheren Remix von Hans Nieswandt („Ghosts“) sehen kann, der etwas absolut „anderes“ in TG MAUSS-Musik entdeckt als man‘s beim Original vermutet hätte. Man nennt das wohl „Reichtum“ von Musik. Torsten Mauss ist im anderen Beruf Designer und hat Architektur studiert, weshalb, natürlich, Räumlichkeit in seiner Musik eine wesentliche Rolle spielt. Man bewegt sich darin, weil es keinen einheitlich-mitreißenden Rhythmus, sondern mehrere rhythmische Vorschläge gibt, gleichsam mehrdimensional. Freundliche Geister in einem Weltkörperhaus.

TG MAUSS alias Twig alias Torsten Mauss ist nicht gerade ein Newcomer auf dem Gebiet „Indietronic“. Seit dem Debüt „Mechanical Eye“ von 2005 ist etliches als Solist und in Coworks entstanden, und man merkt, wie sehr hier etwas gereift ist. Es hat schließlich eine Nähe zum fast schon Gefälligen bekommen, kurz vor der Grenze „Popsong“ machte das Halt zwischen freundlich und nett. Freundliche Musik brauchen wir alle (ab und zu jedenfalls), nette Musik braucht kein Mensch. Es wird, mit anderen Worten, Zeit für etwas Neues.

Jetzt also „Momente Vol. 1“. Der Titel klingt schon, als entfernte man sich hier von der Elektronik-Folk-Postrock-Mischung, die einen mit jedem Track sozusagen in einen anderen Raum einer ziemlich vielfältigen, aber nirgendwo hinterhältigen Audio-Architektur führten. Experimentell ist diese Musik insofern, als sie mehr mit Erfahrung als mit Verabredung zu tun hat. Musikalische Momente sind, wie wir von Franz Schubert wissen, nicht eigentlich überwältigend oder hyper-raffiniert, sondern eher präzise Gefühlsbilder. Es kommt mehr auf das Wie als auf das Was an, Hören ist Teilhaben. Ein Soundtrack mehr oder weniger heftiger Empfindungen und um noch mal auf Schubert zurück zu kommen: dieses bizarre Miteinander und Gegeneinander von Melancholie und Leichtigkeit. „Momente Vol. 1“ besteht aus acht mit Gitarre und Effektgeräten improvisierten Instrumentalstücken, kombiniert mit field-recordings; wir haben es mit Hör-Stücken zu tun, die sehr fundamentale Zustände ausdrücken, Hitze und Frost, Glückseligkeit und Distanz, Zweisamkeit und am Ende, in „Kimdo“, kommen auch wieder menschliche Stimmen zum Einsatz, fremd, entfernt und medialisiert. Oder alltäglich, nebenhin, hintergründig, wie man es nimmt. Entscheidend bei alledem bleibt aber das Element der Improvisation; diese Musik entsteht im Jetzt und hat keine Vor-Schriften. Es ist ein offener Dialog mit einer akustischen Außenwelt. Die Verteidigung eines Wahrnehmungsraums. Augenblicklich denkt man an die Situation eines Lockdown, unter dessen Bedingungen Musik nicht mehr als analoge und direkte und körperliche Kommunikation entstehen kann. Das Berührende muss nun durch Musik als Signal erzeugt, und die Bewegungen des Körpers müssen in Bewegungen im Kopf übersetzt werden. Freilich: Die Lockdown-Situation ist ja nicht nur eine temporäre Ausnahme, sie ist auch Metapher.  

Das beginnt in „Hitze“ schon mit dem Einstieg der schweren Bass-Schläge, über die Gitarrentupfer laufen und dahinter ein weit entferntes Geräusch, das ein wenig an Seemöwen oder ein quietschendes Schild an einer längst verlassenen Eisenbahnstation erinnern mag. Erst mit dem Einsetzen des Schlagzeuges, wird so etwas wie „gemachte“ Musik ins Spiel gebracht. Eine Art Reaktion auf die wandernden und schwirrenden Töne. Das ist Hitze, gewiss. Frost hingegen schwebt wie ein kalter Nebel über dem Erdreich, eine wärmende Unterkunft ist nicht in Sicht, so schwebt man weiter, einem fernen Licht entgegen, vielleicht. (Aber genieren Sie sich nicht, machen Sie ihren eigenen Film zum Soundtrack.)

„Non“ reduziert auf einige wenige Gitarren-Töne, (die sich verdoppeln), und gezielt „falsche“ Töne sorgen dafür, dass keine wohlige Trance eintritt. Wie zuvor setzt auch hier die Percussion den Gegen-Punkt. „Bliss“ mit seiner Überfülle von Tempelgeläut und Kaskaden scheint wirklich berauschend und erhebend, ja es geht buchstäblich in die Höhe. Wenn auch nicht für lange. Bei „Zu Zweit“ macht man gewiss Schritte aufeinander zu, während im Hintergrund etwas drängt und drängelt, bis es glücklich zum Verschwinden gebracht ist. „Garten“ hat eine beruhigende schlendernde Bewegung, in die sich die Natur aber ein wenig heftiger einmischt, und schließlich sogar die Leitmelodie des Schlendernden mit einer nicht unbedrohlichen Stimme übertönt. Da wächst so einiges, und vielleicht ist nicht alles so ordentlich, wie es der gute Gärtner haben will. Und doch, das ist das TG Mauss-typische: Die Irritation wird überwunden, die Geister verschwinden, es bleibt eine gewisse Unruhe. Ein Paradiesgärtlein war das wohl nicht. „Distanz“ versucht sich an der Zeichenhaftigkeit der Musik. Es sind Signale, die hier vielleicht empfangen werden, vielleicht auch nicht. „Kimdo“ nimmt als „field recording“ eine gequälte Frauenstimme und andere Stimmen far away. Jetzt verschwinden wir, wer weiß wie heftig, in den Netzen der Fremdheit. Einer Sirenen-haften Fremdheit. In der romantischen Welterfahrung spiegelt sich die Suggestivkraft des Äußeren immer in einer Ahnung von Einsamkeit des Empfängers.

Die acht Tracks sind in sich eher kurz und verwehren sich dem Ausufernden und Beliebigen. Pomp und Pathos kommen wieder ganz und gar nicht vor. Es geht darum, eine Empfindung, eine Situation, eine Erfahrung in einer akustischen Skizze einzufangen, eben eine Moment-Aufnahme. In den Mini-Dramen scheint es immer darum zu gehen, etwas zu verarbeiten, zu integrieren oder zu überwinden. Wahrscheinlich kann man es gar nicht anders sagen: „Momente Vol. 1“ handelt romantisch die Dialektik von Einsamkeit und Verbundenheit ab. Das heißt auch neben der Empfindsamkeit geht es um eine Aufhebung der klassischen Formen und die Verbindung mit außermusikalischen Ideen. Wie die romantische Musik des neunzehnten Jahrhundert entsteht vielleicht auch diese hier aus dem Bedürfnis, dorthin zu gelangen, wo man noch nicht wahr. Romantische Musik ist jene, die Bilder nicht nur begleiten, sondern sozusagen erzeugen soll. Man Kann es „Programmmusik“ nennen, muss man aber nicht. Was hinzu kommt ist eine spezifische Art von Humor; es gibt Gitarrentöne, die „Ätsch“ sagen können. Aber an der Sparsamkeit, mit der Mauss das einsetzt, erkennt man einmal mehr seine Menschenfreundlichkeit. „Kimdo“ am Ende entlässt uns dann doch mit diesem Gefühl: Das könnte eine nächste Wendung sein. Ein Versprechen für „Vol. 2“, notwendige Schritte aus der Einsamkeit heraus.   

Es ist dies alles eine Musik, die weniger zum Hören als vielmehr zum „Lauschen“ einlädt. So, wie man ja auch allein in einem Wald auf die akustischen Zeichen lauscht, oder in einer fast leeren Fabrikhalle, in der immer noch was vor sich geht, oder auch bloß in sich selber hinein. Ein Soundtrack zur Bestimmung des Unbestimmten. Immer kurz bevor etwas, wie man so sagt, Gestalt annimmt. Es sind immer mehrere Schichten, die übereinander geschehen, ein Hintergrund, den es zu erforschen gälte, wenn man nur weiter und tiefer käme, aber das scheinbar so minimalistische Konzept lässt das immer nur für Augenblicke zu, in denen Vorder- und Hintergrund die Positionen tauschen.

Es ist der Soundtrack für die massenhafte Isolationserfahrung, und es ist der Soundtrack der Sehnsucht nach dem äußeren Leben. Der Soundtrack der Krise und der Hoffnung auf ihre Überwindung.

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